Aufgelesen und kommentiert 2018-11-13

/ Ohne Rechentricks läge der Regelsatz bei 571 Euro
/ #unten – Eine kleine Diskursgeschichte der Hate Speech gegen Arme
/ NRW: Ausbeutung im Lkw trotz Mindestlohn
/ Matthias W. Birkwald zur aktuellen Rentendebatte
/ Jens Spahn (CDU) will bis 2020 „digitales Rezept“ einführen
/ Schmiergeld: Auch SPD kassiert nun 80.000 Euro
/ FDP-Fraktionsvize Lambsdorff hält Herkunft von Vortragshonoraren geheim
/ Grenzüberschreitende Kritik an biometrischer Gesichtserkennung in Sachsen
/ Von der Leyen in Westafrika: Traum vom Blitzkrieg
/ Seit Bundeswehreinsatz: „Lage in Mali hat sich eher verschärft“
/ Seit Januar sind mehr als 2000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken
/ Die Sintflut kommt
/ Neulich bei der Demo gegen Wohnraummangel

Ohne Rechentricks läge der Regelsatz bei 571 Euro
Die Kurzreportage wurde bereits vor sechs Monaten veröffentlicht, aber angesichts der allgegenwärtigen „Hartz4 hat ausgedient“ Geheuchels der SPD sollte nur nochmal daran erinnert werden. Denn diese 571 Euro lassen sich hervorragend mit der Pressgeburt vergleichen, die uns die SPD als „Überwindung von Hartz4“ unterjubeln wird.

#unten – Eine kleine Diskursgeschichte der Hate Speech gegen Arme
„Seitdem der FREITAG am 8. November #unten startete, haben Tausende bei Twitter ihre Erfahrungen mit Armut und sozialer Ungleichheit öffentlich gemacht. Es gab aber auch Kritik. Manche davon ist berechtigt, nachvollziehbar, bedenkenswert. Auffällig ist jedoch, dass die meisten kritischen Stimmen einer kapitalistischen Erzählung folgen. Die besagt, dass jeder in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland alles erreichen könne, wenn er sich nur genug anstrenge. Es ist wie bei der Story vom Baron Münchhausen, der vorgab, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen zu haben.

Man müsse eben „den Arsch hochkriegen“, dann könne man auch der Armut entfliehen. Wenn diese Sichtweise richtig wäre, dann müsste es an den Universitäten, in den Zeitungsredaktionen und in Spitzenpositionen der Wirtschaft wesentlich mehr Menschen aus nicht-privilegiertem Elternhaus geben. Andernfalls müsste man annehmen, dass jeder, der „unten“ geboren ist, von Natur aus dümmer und fauler sei als der, der aus besserem Hause kommt. Das wäre dann eine eugenische Argumentation, die in Deutschland eine düstere Vergangenheit hat.“

Aber hey: Aus der Geschichte lernt man eben – oder man ist Deutscher.

Und wer es nicht glaubt, muss sich nur die Hetze anschauen, die seit der Einführung von Hartz4 flächendeckend gegen Erwerbslose geführt wird (und im Bericht beschrieben wird). Aber das politisch gewollte Abwerten von Menschenleben hat in Deutschland ja eine grosse Tradition.

NRW: Ausbeutung im Lkw trotz Mindestlohn
Mehrere Lkw-Fahrer campen auf dem Gelände der Firma NTG Logistics teilweise seit Monaten, verbringen ihre Wochenend-Ruhezeiten im Lkw. Laut deren Arbeitsverträgen verdienen sie gerade einmal 428 Euro. Bei 200 Arbeitsstunden im Monat kommen sie somit auf zwei Euro pro Stunde. „Wir haben keine Chance, unsere Wäsche zu waschen, können nicht duschen. Manchmal ist das Dixi-Klo voll.“ Bei den katastrophalen Zuständen, die der Lkw-Fahrer Ronaldo Satoc schildert, mag man spontan an ferne Länder denken. Doch Satoc steht mit seinem Lkw auf einem Betriebsgelände im sauerländischen Ense, mitten in NRW. Eine WDR-Kurzreportage.

Matthias W. Birkwald zur aktuellen Rentendebatte
Sehr guter Redebeitrag inklusive einer hervorragende Antwort auf den dazwischenfragenden AfD-Heini.

Erwähnte ich bereits, dass Matthias W. Birkwald zu den wohl besten Rentenexperten im gesamten Bundestag gehört?

Jens Spahn (CDU) will bis 2020 „digitales Rezept“ einführen
„Mal eben ein Rezept abholen? Das geht nur, wenn die Praxis geöffnet ist. Der Gesundheitsminister will das ändern – per Handy-App. „Die Telemedizin spart Ärzten und Patienten Zeit und Wege – vor allem auf dem Land und außerhalb der üblichen Praxisöffnungszeiten“, so Spahn.“

Seht ihr, so macht man das: Zuerst die Ärzteversorgung auf dem Land aushungern und anschliessend dürfen sich die Menschen damit herumschlagen, ihre Krankenakten per Handy (!) in alle Welt zu ventilieren, nur um ein Rezept zu bekommen. Da muss man gar nicht erst keine Debatte über digitale Sicherheit und Datenschutz beginnen, wenn das grundlegende Problem komplett aussen vor bleibt. Nämlich dass auf dem Land allerhand Krankenhäuser und Arztpraxen geschlossen und/oder rationalisiert wurden. Hier in meiner Gegend darf man knapp 50 km weit fahren für eine Geburt. Die zwei Krankenhäuser in unmittelbarer Nähe wurden „marktwirtschaftlich reformiert“ und deren Entbindungsstationen geschlossen. Noch nicht einmal mehr begleitende Schwangerschaftsuntersuchungen sind dort mehr möglich, weil alles abgebaut wurde. Dafür ist jetzt nur noch ein einziges „darauf spezialisiertes“ Krankenhaus zuständig – eben jene 50 km entfernt.

Und wartet, geht noch weiter (Zitat): „Ärzte dürfen schon per Videosprechstunde Patienten beraten – bald sollen sie auch Arzneimittelrezepte digital ausfertigen können.“ Und GENAU DAS wird der nächste Schritt in der „marktgerechten“ Abfertigung von Kassenpatienten werden. Wer schon einmal einen Facharzttermin benötigte, der weiss, dass der frühestmögliche Termin oft erst acht Monate später möglich wäre. Aber hey: „Wenn sie per Videochat mit einem Arzt sprechen wollen, das geht schneller.“ Und schon wird der Kassenpöbel zukünftig nur noch per Videochat abgefertigt, damit die richtigen Ärzte wieder umfassend Zeit für die besserverdienenden Privatpatienten haben.

Genau so geht kapitalistische Gesundheitspolitik, die von weit über 80 Prozent der Wähler bejubelt und (wieder-)gewählt wird. Scheibe für Scheibe wird es immer unerträglicher – aber daran sind bekanntlich ja die Flüchtlinge schuld

Es muss Spass machen, eine SOLCHE Bevölkerung zu regieren.

Schmiergeld: Auch SPD kassiert nun 80.000 Euro
Nachdem der EVONIK Konzern bereits die CDU abschmierte, folgt heute dieselbe Summe auch für die SPD. Denn sicher ist sicher, wenn man sich die beste Demokratie schon derart billig kaufen kann.

Dazu passt auch:

FDP-Fraktionsvize Lambsdorff hält Herkunft von Vortragshonoraren geheim
Nachvollziehbar, denn als die abkassierten Konzernschmierge… ääh, …spendengelder seines Vaters Otto Graf Lambsdorff das Tageslicht erblickten, wurde er rechtskräftig verurteilt und durfte fortan als Krimineller bezeichnet werden. Wer solche Situationen in der eigenen Familie erleben durfte, wird diesbezüglich natürlich vorsichtig

Grenzüberschreitende Kritik an biometrischer Gesichtserkennung in Sachsen
Die Überschrift ist noch sehr milde, denn was da in Sachsen hinter dem neuen Polizeigesetz ausgebrütet wird, ähnelt eher dem feuchten Traum vom Faschostaat. Und für die Umsetzung wird die AfD überhaupt nicht benötigt. Das erledigen die „Vorzeige-Demokraten“ von CDU und SPD schon von ganz alleine.

Von der Leyen in Westafrika: Traum vom Blitzkrieg
Ursula von der Leyen (CDU) wirbt in Mali und Niger für eine EU-Armee. Zeitgleich arbeitet CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer daran, den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze einzuschränken. Das Zauberwort für diesen Putschversuch lautet: Europäische Armee. Während Bundeswehreinsätze im Ausland stets Negativschlagzeilen, nervige Bundestagsdebatten und dazu auch noch eine namentliche Abstimmung verursachen, könnte man stattdessen einer Europäischen Armee quasi auf „dem kurzen Dienstweg“ befehlen, wo sie einmarschieren soll, um Rohstoffe zu erbeuten, Handelswege frei zu bomben und flüchtende Menschen abzuwehren.

Die „Junge Union“ ist jedenfalls begeistert dabei und singt schon mal in aller Öffentlichkeit das Wehrmachtslied, welches bei deren Einmärsche in Frankreich, Holland und Luxemburg angestimmt wurde.

Und bei so viel Geschichtsvergessenheit wollen auch die GRÜNEN nicht im Abseits stehen und fordern auf ihrem Europa-Parteitag mehr Polizeistaat, mehr Militär und mehr Überwachung mitsamt Datenvernetzung.

Seit Bundeswehreinsatz: „Lage in Mali hat sich eher verschärft“
Und das behauptet nicht irgendein linker Pazifist, sondern sagt der CDU-Aussenpolitiker höchstpersönlich. Allerdings mit der Intelligenz steht er dann aber doch eher auf dem Kriegsfuss. Denn er fordert angesichts der Verschlimmerung, die sich seit dem Bundeswehreinsatz in Mali entwickelte, nicht etwa deren Abzug, sondern ganz im Gegenteil NOCH MEHR Militärgewalt.

Seit Januar sind mehr als 2000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken
„Seit Januar 2014, also innerhalb von weniger als fünf Jahren, sind damit fast 16.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ums Leben gekommen. Die Hauptverantwortung für diesen furchtbaren Verlust an Menschenleben trägt die rigorose Abschottungspolitik der Europäischen Union. Die brutale Verfolgung und Kriminalisierung von Flüchtlingen, ihre Denunziation als „illegale Immigranten“ treibt sie förmlich in die Hände rücksichtsloser Schmuggler, die ihre elende Situation ausnutzen und sie auf oftmals seeuntüchtigen Booten auf die gefährliche Überfahrt nach Europa schicken. Die zivile Seenotrettung, die Zehntausende von Flüchtlingen vor dem sicheren Tod gerettet hat, wurde von den Regierungen der EU-Staaten in den letzten Monaten zunehmend juristisch bekämpft und an die Kette gelegt. Seither sind die Flüchtlinge auf hoher See ihrem Schicksal ausgeliefert.

Bei der Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung spielt vor allem die enge Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der sogenannten libyschen Küstenwache eine wichtige Rolle. Die libysche Küstenwache besteht aus Milizionären, die sich selbst zur Küstenwache ernannt haben und von der EU ausgebildet und mit Booten und weiteren Materialien ausgestattet worden sind. Sie hat die Schutzzone der libyschen Gewässer völkerrechtswidrig auf mehr als 100 Seemeilen ausgedehnt und allen zivilen Rettungsbooten verboten, innerhalb dieser Zone Flüchtlingen in Seenot zu helfen. Stattdessen drängt die Küstenwache die Flüchtlingsboote zurück an die libysche Küste und inhaftiert die Insassen auf unbestimmte Zeit. In den Gefängnissen oder Lagern werden sie oft brutal misshandelt und an Milizenführer weitergegeben, die sie als Arbeitssklaven einsetzen oder als solche verkaufen. Dieses widerliche Geschäft mit menschlichen Leben wird von der Europäischen Union gebilligt. Sie hat auch vor, auf libyschem Boden selbst Internierungslager für Flüchtlinge zu errichten.“ Weiterlesen…

Quizfrage: Wofür nochmal genau hat die EU einen Friedensnobelpreis kassiert?

Aber hey: In Kaliformien brennt es und unser Multimillionär Gottschalk hat sein Traumhaus verloren. DAS sind doch viel schlimmere Schicksalsschläge, als die paar tausend krepierte Flüchtlinge, die hier doch eh keiner haben will. Glaubt ihr nicht?

Google News über Gottschalk: 4,2 Millionen Treffer
Google News über Mittelmeertote: 17.000 Treffer

Noch Fragen?

Die Sintflut kommt
DIE ZEIT über den Klimawandel, was dagegen getan werden müsste, was wir tatsächlich dagegen tun – und was folgerichtig über uns kommen wird. Wir sind eben im engeren Sinne gar keine richtigen Säugetiere. Wir sind ein Virus. Der Mensch ist eine Krankheit, das Geschwür dieses Planeten.

Und Quizfrage: Ab wie vielen Millionen Toten werden eigentlich Nürnberger Prozesse wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt? Reichen die vielen Millionen Toten schon aus, die man über die kapitalistischen Kriege, Ausbeutungen und Umweltvernichtungen produzierte? Oder müssen die Folgen des Klimawandels auch noch abgewartet werden?

Und zu guter Letzt:

Neulich bei der Demo gegen Wohnraummangel
….

4 Gedanken zu „Aufgelesen und kommentiert 2018-11-13“

  1. –> Weltweite deutsche Soldatenstiefel
    “ Noch einen Versuch; noch einen Angriff. Wenn wir es dann geschafft haben, dann haben sich doch alle vorherigen Verluste gelohnt“
    Ludendorff´s und Hindenburg´s Credo. Auch nix wirklich Neues wieder 100 Jahre später ….

  2. „Die Sintflut kommt“
    Ein überaus spannendes Thema, diese Erderwärmung.
    Was mich an diesem Artikel am meisten begeisterte sind die Kommentare der Leser.
    Uhhhhu, die bösen Fleischesser sollen mehr Gemüse essen. Uhhhu, die bösen Autofahrer sollen mehr zu Fuß gehen. etc, etc.
    Auf die einfachste und sinnvollste Lösung kommt da aber niemand. Einfach den eigenen Energieverbrauch um 1/3 senken!
    „Rufbereitschaft“ am Mobil auf 8 Stunden reduzieren, Computer nur noch 3 Stunden am Tag einschalten, TV nach zwei Stunden aus. Waschmaschinen nur noch vollgefüllt anstellen, Trockner verschrotten, elektrische Pfeffermühle entsorgen, Halligalli- Beleuchtung zu sämtlichen „Festen“ einstellen.
    Abgesehen davon das man sich auch fragen muss warum die Städte in der Nacht leuchten müssen.

    Aber auf so Ideen kommt keiner.
    Es gab eine TV- Sendung des Schweitzer Fernsehens in der Serie „Sternstunden der Philosophie“.
    „Graeme Maxton: Schafft sich die Menschheit bald ab?“
    https://www.srf.ch/sendungen/sternstunde-philosophie/graeme-maxton-schafft-sich-die-menschheit-bald-ab#

    Findet sich auch bei Youtube, dauert 60 Minuten und lies mich ratlos zurück.

    Kapitalismus tötet, alles, ohne Ausnahmen!

    Grüße

    1. Maxton sagte aber auch, dass es im Sinne der Nachhaltigkeit nur mit Einbußen beim Lebenstandard, bei gleichzeitiger Geburtenkontrolle, geben kann. Die meisten Vorschläge, denen ich zustimme, sind aber weder demokratisch und erst recht nicht mit Unternehmen und Konzernen durchsetzbar, geschweige denn mit der Bevölkerung (sowas, wie Profifußball jeden Tag rund um die Uhr, wäre dann geanuso wenig machbar, wie vieles andere auch). Nur hätte das Meiste der Vorschläge schon vor Dekaden umgesetzt sein müssen. Die Folgen werden die Kindeskinder ausbaden dürfen. Meine sind es ja zum Glück nicht. Beleuchtng in der Stadt abstellen? Da würden aber einige auf die Barrikaden springen. Von daher ist es mit dem Energieverbrauch senken auch so eine Sache. Derzeit gilt noch: Je mehr desto weniger. D. h. je mehr Energie Du verbrauchst, desto geringer werden die Kosten dafür. Eine Erfahrung, die schon kleine Elektrogeschäfte in der Stadt machen mussten.

  3. „Aber das politisch gewollte Abwerten von Menschenleben hat in Deutschland ja eine grosse Tradition.“
    Das ist aber nicht nur in Deutschland so. Im Kapitalismus ist der Mensch nur Stückgut. Schul- und Smombiekultur leisten Ihren Beitrag dazu. Es fängt ja schon mit dieser so „unverfänglichen Floskel an:
    „Und? Was machst Du so?“
    „Wieso? Willste mich heiraten?“

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